Nun steh ich da. Am Parkhaus des Flughafens Stuttgart. Genauer gesagt, schon beinahe in devoter Haltung vor dem Automaten, der die Freiheit verspricht. Freiheit, die scheitert, weil meine EC-Karte nicht auffindbar ist. Die EC-Karte ist mein Tickt in die Freiheit. Hinaus aus dem Parkhaus.
Mein Druck auf den roten Knopf verspricht Hilfe. Jetzt warte ich gespannt auf das, was gleich passieren wird. Doch nichts mit Hilfe: Die junge Dame am anderen Ende des Lautsprechers verweigert meine Bitte, die Schranke zu öffnen.
Sie bittet mich ins Büro. Hinter Parkhaus P4 soll ich kommen.
Kurze Zeit später bin ich in dem Büro, erfahre aber, dass das das falsche wäre.
Sie müssen jetzt nach P2, einfach in den Fahrstuhl, dann die zweite Tür links, dann…. Nach dem dritten Wort bin ich gedanklich schon wieder bei der Freiheit. Alles vergessen. P2 habe ich behalten.
Die Fahrstuhltür öffnet sich. Der Fahrstuhl hat schon Gäste: Eine Frau in einem beigen Mantel und drei Männer in Anzügen. Einheitsfrisur und modischer Dreitagebart.
Es herrscht ein devoter Unterton. Ja, da gebe ich Ihnen recht, ach nein, das kann doch nicht sein. Es wird gesiezt und fast alles bejaht. Elendige Idioten, denk ich!
Sie führt das Wort. Die anderen lauschen andächtig ihren Ausführungen.
Sie beschreibt ihren Frust. Sie, Mitte 30 vielleicht auch Anfang 40, hat ein Haus.
Alles neu. Sie beschreibt die Wände. Die Männer: ah, wie schön. Schon fast im Chor.
Elendige Idioten, denk ich!
Die Haushälterin, ja sie hat eine, oh Wunder, hat wohl eine Tochter mitgenommen.
Und eben dieser Tochter, die mit ihren kleinen Händchen auch die Scheiben beschmiert, ist eine Rotweinflasche aus der kindlichen Hand geglitten.
Die Flasche fällt, man soll es nicht glauben, auf den Boden. Ein Raunen der Männer geht durch den Fahrstuhl. Ich komme mir isoliert vor. Ein erhebendes Gefühl von Freiheit.
Der Boden ist nicht gefliest. Naturstein importiert aus Italien sagt sie voller Macht in ihrer Stimme, die einen lehren Gesicht entspringt. Ich wende mich ab, und lausche weiter mit Sicht auf die Fahrstuhltür.
Der Steinboden ist nicht imprägniert worden, sagt sie. Und somit wanderte der kostbare Tropfen in jede Pore des Bodens. Ich stelle mir gedanklich die rot-weiße Maserung vor. Blutrot gefärbt.
Was ein „Drama“, denke ich. Kurzeitig herrscht Stille.
Dann ereilt die Putzfrau wohl ein Anruf, dass sie in die Schule muss, weil die andere Tochter wohl einen Unfall gehabt hätte. Zeit sauberzumachen hatte sie nicht mehr gehabt, erzählt sie weiter.
Somit kämpft das Weiß des Steins um sein Fortbestehen, während der veredelte Saft der Traube langsam, aber sicher, so scheint es, den Kampf gewinnt.
Doch die Traube hat nicht mit dem Willen der Hausbesitzerin gerechnet, die nun, so wie sie es umschreibt, auf den Knien dem Rot zu Leibe rückt. Der Tatortreiniger wäre jetzt der Mann der Stunde. Das Entsetzen in ihrer Stimme ist kaum zu bändigen.
Geht ja gar nicht, dass Frau von Welt sich das antun muss.
Die Fahrstuhltür öffnet sich. Grelles Sonnenlicht sticht in meine Augen, während ich in die Freiheit entspringe.
Ich kann gehen, wohin ich will. Ich kann ausweichen. Ich kann einen Umweg machen. Viele können das nicht.
Freiheit ist aber auch der Raum für mehr Zeit. Die Art der Wertung ist aber das, was uns als Menschen ausmacht.
Für den einen ist Freiheit das Gefühl, das machen zu können, was er will. Für den anderen ist es die freie Wahl dorthin zu gehen, wohin es ihn treibt, oder von dem er denkt, er würde dort die Freiheit finden, die er sich erträumt.
Vielleicht ist ja die Putzfrau in die Freiheit entsprungen, als sie das Haus verließ…
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