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Die Uhr

Wer denkt nicht sofort, wenn er das Bild eines Löwen vor sich sieht, an die bildgewaltige Disney Erzählung vom König der Löwen. Zumindest mir geht es gelegentlich so.

Löwenkinder, die spielen und sich im Leben behaupten lernen, durchlaufen einige Grade der Entwicklung. Ihnen zu Seite steht immer die Löwenmutter. Sie wacht aufmerksam und greift auch dann ein, wenn sie ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt.

Wie überall im Leben entscheidet der Bruchteil einer Sekunde, der Reflex aus Erfahrung und Hingabe über das Handeln.

Meine Mutter ist so eine Löwin. Natürlich ist sie der Gattung Homo Sapiens zugehörig; aber sie hat Züge einer Löwenmutter, die ich sehr bewundere.

In meinem Leben gab es viele Situationen, die Dank meiner Mutter so gelaufen sind, dass sie im Guten geendet haben.

 

In meinen Leben gab und gibt es Dinge, die mir besonders am Herzen liegen. Manche sind durch ein Hobby verbunden. Andere, weil ich sie einfach immer bei mir habe und mich ohne sie nackt fühle. Beinahe unvollkommen.

Uhren sind so etwas. Ich hege aber keinerlei Begeisterung für Chronographen, wie es vielleicht die Sammler empfinden. Vielmehr ist die Art der Uhr an meinem rechten Handgelenk ein Teil meines Wesens. Geht nun so ein Utensil verloren, so habe ich das Gefühl, mir sei ein Teil meiner Persönlichkeit abhandengekommen.

Also ist es mein Bestreben, auf solche Sache besonders acht zu geben.

 

Uhren hatte ich immer. Gut, es waren weniger als fünf. Genauer: ich hatte immer nur die eine. Niemals hatte ich zwei oder mehr, zwischen denen ich hätte mich entscheiden müssen.

Die Uhr, um die sich diese Geschichte dreht, ist von Casio. Ein tolle Uhr.

Ausgestattet mir Barometer und Finimeter fühlte ich mich als Entdecker und Abendteurer.

Sie hatte ein schwarzes Gummiarmband und orangefarbenem Zeiger, sowie eine kleine Digitalanzeige, die unten mittig eingelassen war. Auf der kann man dann ablesen, welcher Luftdruck gerade gemessen wurde, oder beim Tauchen die erreichte Tiefe.

Ein phantastisches Spielzeug. Ich liebte sie. Die Uhr war, nachdem mein Bruder eine andere zuvor verloren hatte, etwas, was es zu verteidigen galt.

 

In den Zeiten nach der Wende entwickelten sich in Potsdam diverse Subkulturen. Mal abgesehen von den Nazis, die Potsdam bevölkerten, gab es da noch die Grafits und Punks.

Jeder Gruppe hatte so ihre speziellen Rückzugsgebiete.

In Potsdam West, meinem Wohnbezirk, besetzten sie viele Häuser und wohnten darin.

Sie annektierten auch alle Spielplätze. Aus den besetzen Häuser drang besonders abends der Geruch von Kerzen, Gras und allerhand anderem.

Ich kann mich gut erinnern, dass wir immer einen Bogen um diese Häuser machten. Angst hatten wir keine. Sicherlich war es Vorsicht; es konnte ja immer etwas Unerwartetes passieren.

 

Eines Tages, es war wohl später Nachmittag, kreuzten Mike, Nicky und Ich auf eine kleine Insel inmitten einer Kreuzung vor der Erlöser-Kirche. Auf dieser Insel, die eigentlich ein Kreisel war, mündeten vier Straßen. In der stand ein riesiger Baum, der im Sommer immer Schatten spendete. Unter dem Baum war fast immer was los. Manchmal kletterten einige in der Baumkrone herum, ein anderes Mal bewarfen manche vorbei fahrende Autos mit Teer von der Straße oder eben dem, was da so herumlag.

 

Meistens liefen wir im großen Bogen um die Insel, wenn wir aus dem Ferne sehen konnten, dass das Volk der Punker wieder dort herumlungerte. Meist soffen sie ihre Berliner Kindl Pisse und warfen auch gerne mal die Flaschen auf die Straßen und lachten dann wie die Kinder.

 

Gerade hatten wir die Insel hinter uns gelassen, als ich plötzlich einen heftigen Schmerz verspürte. Ein Punk, der aus dem Nichts erschien, hatte es auf uns drei abgesehen.

Seinen scheiß Stiefel wummerte er in meinen Hintern. Die Alkoholfahne benebelte uns.

Der Schmerz wurde aber bald von meinem Herzschlag verdrängt, der erbarmungslos hämmerte. Der Typ forderte unsere Uhren und das bisschen Geld, was wir dabei hatten.

Die angedrohte Prügel reichte, dass wir im das gaben, was er wollte. Wir waren gerade 12 und 13 Jahre alt, und ihm total unterlegen.

Da keiner von uns ein paar in die Fresse wollte, verlor ich das, was ich so liebte. Meine Uhr.

Es war entsetzlich. Ich war untröstlich.

Was der Punk nicht wusste, war, dass ich wusste, in welchem besetzten Haus er wohnte.

Als ich zu Hause war, erzählte ich meiner Mutter, was da gerade gelaufen war. Beiläufig und ohne Hoffnung, die Uhr je wieder zusehen, fügte ich aber hinzu, dass ich wisse, wo der Punk wohnt.

 

Und da war sie, meine Mutter. Die Löwin. So unerschrocken und unerbittlich.

Sie zögerte keine Sekunde mit dem Entschluss, die Uhr wieder einzufordern.

Das besetzte Haus war keine fünf Gehminuten entfernt. In der Feuerbachstraße. Gegenüber vom dem besetzten Haus gab es noch eine Fleischerei.

Ich stand etwas ungläubig, aber voller Respekt mit meinen Freunden vor der Fleischerei. Wir starrten auf das besetzte Haus, das meine Mutter da gerade betrat.

Ich hab es noch bildlich vor mir, wie sie in ihren roten Jeans und den weißen knöchelhohen Adidas-Turnschuhen das Haus betrat.

Es dauerte keine Minute, bis klar war, dass da in dem Haus etwas nicht stimmte. Es war nämlich noch lauter als sonst.

Die Geräuschkulisse versammelte schnell eine Schar von Menschen vor der Fleischerei, die nun alle gebannt auf das Haus blickten.

Ich höre meine Mutter, die normalerweise die Ruhe in Person ist, in ihrer Stimmlage ernst wird.

Sie wird immer lauter, für mich ungewohnt laut. Die Stimme wandert durch das Haus und der Schall ihrer Stimme dringt unüberhörbar nach draußen. Nun wird auch die Menge lauter, weil sie nicht weiß, was da gerade in dem Haus vor sich geht.

Inzwischen ist sie wohl in den oberen Stockwerken angekommen.

Plötzlich Stille. Gespenstische Ruhe. Dann erneut Schreie und wieder Ruhe.

Ich höre den Missetäter brüllen: ich hau dir auf die Fresse !

Das scheint meine Mutter wenig zu beeindrucken, denn kurz danach schreitet Sie erhobenen Hauptes aus dem Haus.

In ihrer Hand trägt sich meine Uhr, die sie gebührend in die Lüfte streckt.

Die Menschenschar löst sich auf und ich fühle mich als der „König der Welt „

Mein Bruder hat dann später auch diese Uhr verloren….

Und ich habe mir geschworen, ihm nie wieder eine Uhr zu borgen, was ich bis heute auch beherzigt habe. Sorry Bro 🙂

 

Danke Mutter!

Published injust me

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